Kleines Knabenkraut
Anacamptis morio erhielt seinen Namen aus dem Griechischen – „moros“ bedeutet „Narrenkappe“ und bezieht sich auf den karnevalistischen Eindruck, den die grünen Adern im oberen Teil der Blüte vermitteln. Die schlanke Pflanze ist mit 10 bis 30 Zentimetern ziemlich kurz. Die Blätter – lanzettförmig, grün und ungefleckt – bilden am Boden eine Rosette. Weiter oben umschließen sie den Stengel dicht. Der Blütenstand ist kurz und hat etwa 5 bis 20 Blüten mit aufwärts gerichtetem Sporn. Die beiden Petalen (innere Blütenblätter) sind kürzer als die Sepalen (äußere Blütenblätter). Gemeinsam bilden sie einen lockeren Helm. Die Lippe ist ziemlich breit und undeutlich dreigeteilt. Die beiden Seitenlippen sind oft stark nach unten geneigt, liegen manchmal aber auch in der gleichen Ebene wie die Mittellippe. Diese hat meist eine Vielzahl unterschiedlich gestalteter dunkler Flecken oder Punkte. Die beiden Pollinien (Pollenkörbe) sind an einer gemeinsamen Klebscheibe (Viscidium) befestigt.
Einordnung (Taxonomie)
1753 bestimmte Linné die Pflanze als Orchis morio. Das ist immer noch der Name, wie er von den meisten Botanikern und in vielen Darstellungen geführt wird. Aufgrund von genetischen Studien und einer neuen Sichtweise stellten Richard M. Bateman und andere die Pflanze aber zur Gattung Anacamptis. H. Kretzschmar, W.Eccarius and H. Dietrich (Die Orchideengattungen Anacamptis, Orchis, Neotinea. 2007) folgten dieser Argumentation. Sie sehen in dem ungeteilten Mittellappen der dreiteiligen Lippe sowie in den Längsleisten am Sporneingang bestimmende Merkmale der Gattung Anacamptis. Kretzschmar u.a. betrachten Anacamptis morio als Teil einer von sieben Sektionen der Gattung, den Morionen. Diese Sektion ist monospezifisch, besteht also nur aus einer Art Anacamptis morio und sechs Subspezies (Unterarten): morio, caucasica, champagneuxii, longicornu, picta and syriaca.
Weiß blühende Form
Kennzeichnend für die Blüten von Anacamptis morio ist eine große Variabilität von Form und Farbe. Die Hauptbandbreite der Farben reicht von rosa bis dunkelviolett. Aber von allen Orchideenarten hat Anacamptis morio vielleicht die größte Neigung zur Entwicklung von weißen Blüten. Bei der Erkundung einer Hochebene am Monte Gargano in Apulien (Süditalien) haben wir allein an einem Nachmittag drei weiß blühende Exemplare gefunden – inmitten einer Fülle von etwa tausend Anacamptis morio mit Blüten in den Standardfarben. Das Ehepaar Danesch hat für diese Region bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts die gleiche Beobachtung notiert: „Nach unserer Erfahrung treten in gewissen Gegenden Apuliens besonders viel Pflanzen mit sehr hellen bis reinweißen Blüten auf. In einzelnen Populationen überwiegen sogar die weißen.“ (Danesch, Edeltraud/Danesch, Othmar: Orchideen Europas – Südeuropa. Bern/Stuttgart 1969. S. 162). Helmut Presser erwähnt in „Orchideen. Die Orchideen Mitteleuropas und der Alpen“ (2. Auflage, 2000), dass die weißblühenden Formen von Anacamptis morio „nicht besonders selten, in Südeuropa stellenweise sogar häufig anzutreffen“ seien. Ich schätze die Häufigkeit von weiß blühenden morio auf etwa 3-5/1000.
Biotope, Blütezeit und Verbreitung
Anacamptis morio ist angewiesen auf Trocken- und Magerrasen, Weide- und Buschland auf kalkhaltigem Untgergrund, aber auch auf Streuwiesen und in Niedermooren. Die Blütezeit reicht von März bis Juni – je nach Höhe (bis zu 1.950 m) und klimatischem Frühjahrsverlauf. Die Art ist in Europa weit verbreitet, das Gebiet erstreckt sich von Irland, Südengland, Südschweden und den baltischen Ländern bis nach Portugal, Spanien, Italien und Bulgarien.