Bestäuber

Melitea cinxia

Während das menschliche Auge aus einer einzigen Linse besteht, sehen Insekten ihre Umwelt mit einem Facettenauge aus mehreren tausend Ommatidien (Einzelaugen). Jedes einzelne hat einen eigenen Satz von Photorezeptoren, um visuelle Signale aufzunehmen: Bei Bienen sind das vermutlich sechs Grün-Rezeptoren, die für die Erkennung von Bewegungen zuständig sind, sowie ein oder zwei Rezeptoren für UV-Strahlung und Blau (Lars Chittka/Nigel E. Raine: Recognition of Flowers by Pollinators. In: Current Opinion in Plant Biology 2006, S.429).

Andere Insekten wie die Schwalbenschwanzart Papilio glaucus haben hingegen auch Rezeptoren für Rot, wie das Farbsehvermögen von Schmetterlingen wohl generell größer ist als das der Bienen (Adriana Briscoe: What colors do insects see? In: Orchid Digest 2005, S.265). Die Auflösung des Facettenauges ist etwa 100 Mal schlechter als die des menschlichen Auges. Bienen sind ziemlich kurzsichtig: Eine Blüte muss eine riesige Größe von 26 Zentimetern haben, um aus einem Meter Entfernung erkannt zu werden; um eine Blüte mit einem Durchmesser von einem Zentimeter zu sehen, muss eine Biene die Distanz auf 11,5 Zentimeter verkürzen (Chittka/Raine 2006, S.428f.).

Viel besser als das Sehvermögen ist die Fähigkeit von Insekten, Gerüche wahrzunehmen, da Bienen in ihren Fühlern mindestens 130 Rezeptoren dafür haben. Es wäre somit eine sinnvolle Strategie der Evolution, riesige Blüten zu entwickeln, um Befruchter anzulocken. Aber größere Blüten sind in der Entwicklung mit höherem Energieaufwand verbunden, und die Blütengröße wird von einer komplexen Abfolge von Interaktionen zwischen Genen und Prozessen eingeengt, die die Organentwicklung regeln (Heather M. Whitney/Beverley J. Glover: Morphology and development of floral features recognised by pollinators. In: Anthropod-Plant Iteractions 2007, S.148). Die Form der Blüte ist variabler, aber nicht so sehr wie die Farbe, welche von einem komplexen Zusammenspiel von Genen, Enzymen, Metallionen und pH-Wert bestimmt wird. Experimente zeigen, dass Hummeln und Taubenschwänzchen die Farbe von Blütenblättern deutlich unterscheiden. Diese Ergebnisse machen es wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, dass die Farbe der einzige wesentliche Faktor ist, wenn Befruchter die Wahl treffen (Whitney/Glover 2007, S.153).
Offenbar lernen Insekten die Farben und Formen von Blüten, die sie mit Nektar belohnt haben. Da viele Orchideen keinen Nektar erzeugen, könnte es für sie lebenswichtig sein, dass sie mit einer Pflanze verwechselt werden, welche ihren Besucher mit Nektar entlohnt.

Aber eine erfolgreiche Befruchtung hängt von vielen Faktoren (ab), die außerhalb der Kontrolle einer einzelnen Pflanze oder Art sind (Chittka/Raine 2007, S.433).
Ein entscheidender Faktor ist die Nachbarschaft von anderen Blüten. Da weiße, UV-absorbierende … Blüten in praktisch allen gemäßigten Zonen Europas und des Mittelmeerraums am häufigsten vorkommen (Chittka/Raine 2007, S.433),
könnte es eine gute Strategie sein, weiße Blüten zu entwickeln: Eine Orchidee mit einer häufigen Farbe kann ziemlich sicher sein, sich in der Nachbarschaft von anderen Blüten mit einer ähnlichen Farbe zu befinden (Chittka/Raine 2007, S.434).

Zusätzlich zur Farbe beeinflusst das Muster von Blütenblättern die Art, wie Insekten Blüten erkennen. Die Linien und Flecken auf Petalen und Sepalen erzeugen einen „Flimmereffekt“ aufgrund der Lichtintensität, die sich ändert, wenn ein Insekt über eine Blüte mit einem markanten Muster fliegt, und bei einem Experiment bevorzugten die Bienen diejenigen (Blüten) mit dem größten Flimmereffekt (Harold Koopowitz: More on Insect Vision in Flowers. In: Orchid Digest 69/2005. S.267). Bei manchen Albiflora-Varietäten von Orchideen bleibt die Farbe im Blütenmuster erhalten, während die umgebenden Flächen alle ihre Pigmente eingebüßt haben. Aber auch völlig weiße Blüten können ihr eigenes Muster haben, erzeugt von den UV-absorbierenden Flavonolen in den Blütenzellen: Blüten, die von Insekten mit UV-empfindlichen Augen besucht werden, haben oft Muster oder Markierungen, die von den Insekten bemerkt werden, aber die für Menschen unsichtbar sind (Koopowitz 2005, S.268).