Ein Hauch von Farbe bei Gymnadenia



Die meisten weiß blühenden Orchideen haben einen letzten Hauch von Farbe in ihren Blütenblättern, im Sporn oder im Fruchtknoten. In diesen Fällen ist die Fähigkeit zur Pigmentproduktion eindeutig reduziert, aber offensichtlich noch nicht völlig abwesend. Beim Studium von Albiflora-Varietäten von Gymnadenia odoratissima in den Dolomiten zeigt sich, dass einige Pflanzen einen Rest von rosa Färbung (links) haben, während andere noch eine leicht violette Tönung zeigen (rechts) – sichtbar vor allem in den Knospen und im Fruchtknoten. Am Hang einer Weide in der Nähe des Schlern-Massivs habe ich etwa zehn Gymnadenia odoratissima mit mehr oder weniger weißen Blüten gesehen.

Es scheint, dass in beiden Fällen verschiedene Pigmente unterdrückt sind. Nur wenn all Farbpigmente fehlen, kommt es zur Ausbildung von vollständig weißen Blüten. Dies zeigt sich auch deutlich bei Gymnadenia conopsea auf der Puflatsch-Alm.

Nigritella-Farben der Dolomiten



Die Puflatsch-Alm oberhalb des Südtiroler Ferienortes Seis ist bekannt für ihre Farbvarietäten von Nigritella nigra ssp. rhellicani. Während einer Exkursion in den Dolomiten hatte ich die Gelegenheit, diese 1.990 bis 2.150 Meter hoch gelegene Region vier Tage lang zu erkunden. Besonders reichhaltig ist die Flora in der Umgebung der Arnikahütte, wo Mitte Juli mehrere tausend Nigritella und Gymnadenia conopsea blühen. Hinzu kommen Pseudorchis albida und – in Senken – Dactylorhiza majalis.

Unter den blühenden Nigritella sind Farbvarietäten recht häufig, auch wenn ich kein vollständig weißes Exemplar finden konnte. Alle blass-gelb oder weiß blühenden Pflanzen haben immer noch einen leichten Rosaton an den Rändern der Lippe. Die häufigste Farbvarietät sind Pflanzen mit einem Blütenstand, der im oberen Teil hellrot und im unteren Teil weißlich ist.

Keineswegs selten sind Hybriden von Nigritella nigra ssp. rhellicani mit Gymnadenia conopsea. Ihre karminroten Blütenstände leuchten in der Wiese. Interessant war die Hybridbildung aus einer Farbvarietät von Nigritella nigra ssp. rhellicani mit Gymnadenia conopsea – hier war der Blütenstand (links) insgesamt viel heller als bei den gewöhnlichen Hybriden beider Arten (rechts):

Farbspielereien mit C. rubra und E. atrorubens

Nach dem Hinweis eines Orchideen-Freundes fahren wir heute in die Hessische Rhön. Nordöstlich von Fulda, in der Nähe von Huenfeld, führt ein Weg durch ein langgestrecktes Waldstück. Am Hang blühen zahllose Cephalanthera rubra. Und direkt am Weg wachsen auch drei Pflanzen mit weißen Blüten. Die eine hat noch einen leicht violetten Ton, die zweite ist ganz weiß, aber bereits leicht abblühend, und die dritte hat nur eine, relativ geschlossene Blüte.

Im Hang blühen mehr als hundert Cephalanthera rubra, Gymnadenia conopsea und Epipactis atrorubens. Eine Gymnadenia conopsea ist fast weiß, mit einem letzten Hauch von rosa-violett in den Blüten.

Etwas südlich von Fulda und westlich von Bad Brückenau folgen wir einem weiteren Hinweis und gelangen auf eine Bergkuppe mit einer eindrucksvollen Magerwiesen-Vegetation. Im unteren Abschnitt blühen auch hier zahlreiche Gymnadenia conopsea. Weiter oben, einige Meter unterhalb vom Wald, stehen die kräftigen Stängel von Epipactis atrorubens – und dazwischen einige Pflanzen, die nicht rotbraun, sondern gelbgrün blühen! Bereits weitgehend verblüht sind Ophrys insectifera. Diesen wunderschönen Hang laufe ich noch etwas weiter und sehe von weitem eine weiß blühende Pflanze: Gymnadenia conopsea var. albiflora! Eine kräftige Pflanze mit mehr als 30 Blüten, die obersten noch als Knospen. Auf dem Hang sind in der Abendsonne viele Schmetterlinge und Wildbienen unterwegs, die weiß blühende Gymnadenia bietet sich und ihren mit Nektar gefüllten Sporn als Alternative an.
httpv://www.youtube.com/watch?v=Ne_jHg2FQ3s

Orchis militaris „albiflora“, knospend

Das neue Orchideenjahr hat begonnen, und die weiß blühende Orchis militaris in meiner Nachbarschaft zeigt bereits ihre Knospen. Möglicherweise gibt es in diesem Jahr mehrere „albiflora“-Exemplare an diesem Standort. Die Pflanzen wirken gesund und kräftig. Der lange Winter war kein Problem für sie, und im März/April gab es genug Feuchtigkeit.

 

Danach war ich noch im Rheingau auf einer Wiese mit Anacamptis morio. Ich schätze, dass es in diesem Jahr dort etwa 800 Pflanzen gibt, 5 von ihnen blühen weiß. Das wäre an diesem Standort ein Verhältnis von 6 Anacamptis morio „albiflora“ auf 1000 Pflanzen und somit etwas höher als meine allgemeine Schätzung von 3 bis 5/1000. Dies bestätigt, dass Anacamptis morio in besonderem Maße dazu neigt, weiße Blüten zu entwickeln. Die meisten Anacamptis morio auf der Wiese sind in voller Blüte. Auffallend ist aber bei den weiß blühenden Pflanzen, dass hier die Blüte schon weiter fortgeschritten ist. Einige Blüten sind bereits beschädigt, insbesondere am Sporn (Foto). Zuletzt war ich vor zwei Jahren an diesem Standort bei Johannisberg, am 6. Mai, wo mir dies nicht aufgefallen war. Allerdings hatte ich damals auf der unteren Wiese auch noch Orchis mascula gesehen, die ich heute vergeblich suche.

Zuletzt besuche ich noch einen Standort im Wispertal, wo es früher mehrere weiß blühende Orchis mascula gegeben haben soll. In dem Eichenmischwald finde ich etwa 25 mascula in der Standardfarbe, aber keine weiß blühende Form.

Auf die Blütenfarbe kommt es an

Source of right picture: taken by Olaf Leillinger on 1998-04-30 License: CC-BY-SA-2.0/DE and GNU FDLDie Weibchen der Veränderlichen Krabbenspinne (Misumena vatia) können ihre Farbe ändern und sich so der Farbe der Blüte anpassen, auf der sie sich niederlassen und auf Beute warten. Auf einer weißen Blüte haben sie einen weißen Körper, auf gelben Blüten schlägt ihre Farbe in ein intensives Gelb um (rechtes Foto: Olaf Leillinger, Source: picture taken by Olaf Leillinger on 1998-04-30 License: CC-BY-SA-2.0/DE and GNU FDL). Daher ist die Albiflora-Form von Dactylorhiza fuchsii (links: Foto: Norbert Griebl) ein passender Platz für die Insektenjagd – die purpurne Standardfarbe dieser Orchidee würde nicht zu ihrer Tarnstrategie passen.

Die Spinne ändert ihre Farbe, indem ein gelbes Pigment in die äußere Zellschicht ihres Körpers eingelagert wird. Wenn sie auf einer weißen Blüte sitzt, wird dieses Pigment wieder in untere Schichten transportiert oder ausgeschieden. Der Farbwechsel von weiß nach gelb dauert 10 bis 25 Tage, der von gelb zu weiß nur etwa 6 Tage.

Limodorum abortivum „albiflora“

Limodorum abortivum - Albiflora-Form (links; Foto: N.Griebl) und gewöhnliche Form (rechts)
Limodorum abortivum - Albiflora (links; Foto: N.Griebl) und Standardform (rechts)

Eine der seltensten Albiflora-Formen von Orchideen ist Limodorum abortivum. In der Literatur wird manchmal das Vorkommen weiß blühender Pflanzen erwähnt, etwa von Horst Kretzschmar in seinem neuen Buch „Die Orchideen Deutschlands und angrenzender Länder“ (Wiebelsheim 2008), S.163: „Die Färbung der Blüten kann in Südeuropa erheblich variieren, von weiß über violett bis rot, wenngleich solche Blütenfarben in Deutschland bislang nicht beobachtet wurden.“ 

Norbert Griebl hat mir nun das Foto einer Albiflora-Form geschickt, die er in Nordgriechenland entdeckt hat. Dabei beobachtete er, dass die Pflanze einen grünen Stängel und grüne Stängelblätter hat, „was beweist, dass Limodorum nicht gänzlich saprophytisch lebt.“ (also  myko-heterotroph). Die grüne Farbe des Stängels ist tatsächlich sehr auffallend, verglichen mit der dunkelvioletten Farbe der gewöhnlichen Form. Bei dieser wird das vorhandene Chlorophyll offenbar von den dominanten Anthocyaninen überdeckt. Wenn diese rötlich-violetten Farbpigmente der Zelle fehlen – wie im Fall der Albiflora-Form, kommt das grüne Chlorophyll deutlich zum Vorschein. Eine 2006 veröffentlichte Studie (M. Girlanda, M. A. Selosse, D. Cafasso, F. Brilli, S. Delfine, R. Fabbian, S. Ghignone, P. Pinelli, R. Segreto, F. Loreto, S. Cozzolino und S. Perotto: Inefficient photosynthesis in the Mediterranean orchid Limodorum abortivum is mirrored by specific association to ectomycorrhizal Russulaceae. In: Molecular Ecology 15, 2006, S. 491-504) erkennt die Existenz von Chlorophyll an, stellt aber fest, dass bei der Photosynthese für die Ernährung der Pflanze nicht ausreiche. Es wäre interessant zu wissen, wie sich die Albiflora-Form in dieser Hinsicht verhält und ob sie ebenfalls auf die Nährstoffversorgung durch Pilze angewiesen ist.

Happy birthday, Charles Darwin!

Heute vor 200 Jahren wurde Charles Darwin geboren – sein Blick für Varietäten in der Tier- und Pflanzenwelt hat ihn zur Erkenntnis der Evolution geführt: Die Arten stehen nicht ein- für allemal fest, sondern sind Ergebnis eines Prozesses, der teilweise weiter andauert. Gerade die junge Familie der Orchideen ist noch mitten in ihrer Entwicklung, und die Natur geht immer wieder neue Wege. Einer davon ist auch das Auftreten von Farbvarianten wie die der weiß blühenden Orchideen.

In seiner Abhandlung über „The various contrivances by which orchids are fertilised by insects“ (1862, 2. Auflage 1877) untersuchte Darwin die Beschaffenheit der Orchideenblüten in Beziehung zu ihren Bestäubern. So schreib er über Platanthera chlorantha (von ihm als Habenaria chlorantha geführt), dass sie wegen ihres langen, mit Nektar gefüllten Sporns, der weißen Blütenfarbe und des starken Dufts nach Einbruch der Dunkelheit vor allem von Nachtfaltern befruchtet werde: „The remarkable length of the nectary, containing much nectar, the white colour of the conspicuous flower, and the strong sweet odour emitted at night, all show that this plant depends for it fertilisation on the larger nocturnal Lepidoptera.“(p.85). Berühmt wurde Darwins Prognose, dass es zu der auf Madagaskar wachsenden Orchidee Angraecum sesquipedale mit einem 25 cm langen Sporn auch einen entsprechend ausgestatteten Bestäuber geben müsse: „In Madagascar there must be moths with probosces capable of extension to a length of between ten and eleven inches!“ (p. 198). 41 Jahre später wurde 1903 der entsprechende Schmetterling tatsächlich entdeckt, Xanthopan morgani.

Dactylorhiza traunsteineri

Im neuen Berichtsheft aus den Arbeitskreisen Heimische Orchideen (AHO) gibt Norbert Griebl einen Überblick zu den Dactylorhiza-Arten in Österreich. Dabei zeigt er auch zwei Fotos weißblühender Pflanzen – eine Dactylorhiza traunsteineri, aufgenommen am Kochelsee in Bayern, und eine weiß blühende Dactylorhiza incarnata, die als Dactylorhiza incarnata f. ochrantha bestimmt ist, allerdings soweit erkennbar vor allem im unteren Blütenstand einen gelblichen Einschlag von Dactylorhiza incarnata ssp. ochroleuca zeigt – diese wird von Griebl nicht als Unterart, sondern als eigene Art geführt – mit der Begründung, dass es kaum Kreuzungen zwischen incarnata und ochroleuca gibt.

In einem Beitrag über die Pflege von Biotopen in Rheinland-Pfalz erwähnt Jürgen Passin für einen Standort bei Vallendar am Rhein zu dort vorkommenden Arten „Orchis militaris, auch die var. albiflora“.

Übersicht zu allen Orchideengattungen

Es hat gut einen Monat gedauert, bis die Lieferung von der Cornell University Press in Ithaca, New York, eingetroffen ist. Aber es ist wirklich interessant zu studieren, das Illustrated Dictionary of Orchid Genera. Die Autoren Peggy Alrich und Wesley Higgins legen damit eine Übersicht zu allen Gattungen der Orchideen-Familie vor – von Aa bis Zygostates.

Aa ist gleich eine hübsche Geschichte – diesen gültigen Gattungsnamen hat Heinrich Gustav Reichenbach 1854 festgelegt. Die eine Erklärung für den ungewöhnlichen Namen lautet, dass er den ersten und letzten Buchstaben der verwandten Gattung Altensteinia genommen hat, um so immer an erster Stelle von Gattungshandbüchern zu erscheinen – was ihm hier wieder gelungen ist. Die andere Erklärung lautet, dass Aa mit seinen 27 Arten in Mittel- und Südamerika an den niederländischen Drucker Pieter van der Aa erinnern soll.

Im Vorwort heißt es, dass heute etwa 850 Orchideen-Gattungen anerkannt sind – die Zahl der im Handbuch aufgeführten Gattungen ist aber etwa drei Mal so groß. Das Autorengespann hat dabei eine farbliche Ordnung eingeführt: Die gültig beschriebenen und „gegenwärtig anerkannten“ Gattungsnamen sind dunkelgrün markiert. Gültig beschrieben, aber „gegenwärtig nicht akzeptiert“, sind Gattungsnamen, die hellgrün gedruckt sind – darunter finden sich etwa Listera (jetzt: Neottia) oder Aceras (jetzt Orchis). Die Abwertung wird mit molekulargenetischen Untersuchungen begründet, etwa: „Current DNA testing of this genus shows that Aceras is clearly nested within Orchis.“ Nigritella wird mit gleichlautender Begründung zu Gymnadenia gestellt – aber Barlia erhält einen dunkelgrünen Rang als anerkannter Gattungsname, obwohl Barlia robertiana von den Molekularbiologen zu Himantoglossum gestellt wurde.

Zu jeder Gattung gibt das Handbuch die taxonomischen Grundlagen an und die Etymologie des Namens. Danach folgen Anzahl von Arten dieser Gattung, die geographische Verbreitung, bevorzugte Biotope und eine allgemeine Beschreibung morphologischer Besonderheiten. Zu jeder Gattung gibt es eine kleine Blüten-Illustration. Im globalen Kontext wirken die europäischen Orchideen-Gattungen auf einmal ganz klein. Die Verfasser schreiben, dass weiter mit der Entdeckung neuer Arten zu rechnen ist, dass diese aber voraussichtlich ebenfalls ihren Platz in der beschriebenen Gattungsstruktur finden würden.

Weiße Blüten können für Insekten farbig sein

Yoshikazu Tanaka vom Institute of Plant Science in Osaka schickt mir einen Artikel über die Biosynthese von Pflanzenpigmenten und macht in einem E-Mail-Wechsel darauf aufmerksam, dass weiße Blütenblätter oft Pigmente aus der Gruppe der Flavone und Flavonole enthalten. „Flavonole und Flavone sind sehr blaßgelb und für das menschliche Auge meist unsichtbar“, erklären die Verfasser des Artikels – neben Tanaka sind das Nobuhiro Sasaki und Akemi Ohmiya. „Da sie UV-Licht absorbieren, das von Insekten erkannt wird, geben sie den Blüten Farbe und Muster, um Insekten anzulocken“

Flavone und Flavonole gehören ebenso wie die Anthocyanine zu den Flavonoiden. Bestimmte Flavonole werden durch Einwirkung des Enyzms Dihydroflavonol 4-reductase (DFR) in ein Anthocyanin umgewandelt. Bei einigen Pflanzenarten, erklären die Autoren unter Hinweis auf Orchideen der tropischen Gattung Cymbidium, kann DFR wegen einer strikten Substratspezifität diese Wirkung nicht entfalten. „Das ist der Grund, warum diesen Arten die Anthocyanine auf der Basis von Pelargonidin fehlen und daher keine Blüten mit orangener oder ziegelroter Farbe entwickeln.“