Geburtsanzeige

Orchis militaris
Es scheint ein gutes Jahr für Orchis militaris zu sein – die Wiesen in Fahrradreichweite von Frankfurt sind voll mit violetten Blütenständen. Und diesmal, im fünften Beobachtungsjahr, gibt es eine zweite Albiflora-Form von Orchis militaris, nur zehn Meter vom Ort der ersten Pflanze entfernt. Sie ist 20 cm groß, hat eine Rosette von drei Blättern und etwa zehn Blüten. Die Reproduktion von Albiflora-Formen ist schwierig, da die für das Fehlen der Blüten-Pigmentierung verantwortliche DNA-Sequenz rezessiv vererbt wird, aber hier ist es offenbar gelungen. Die erste Albiflora-Pflanze ist etwa 30 cm groß, mit fünf Laubblättern und etwa 25 Blüten:
Orchis militaris

Nigritella bicolor – eine neue, aber bekannte Art

Nigritella bicolor

Die Beschreibung einer neuen Art eröffnet die Chance, offene Fragen beim Studium der alpinen Nigritella-Flora zu klären: In der jüngsten Ausgabe des Journalis Europäischer Orchideen (1/2010) stellt Wolfram Foelsche eine Fülle von Zweifelsfällen dar, in denen Kohlröschen als Nigritella rubra bestimmt wurden, ohne dass die charakteristischen Merkmale dieser Pflanze vorhanden sind, wie sie Richard Wettstein 1889 beschrieben hat. Bei Nigritella rubra sollten Sepalen und Petalen etwa gleich breit sein. Aber viele als Nigritella rubra bestimmte Pflanzen haben Petalen, die deutlich schmaler sind als die Sepalen. Zudem gibt es Unterschiede in der Lippenform und der Farbe des Blütenstands: Die nun als Nigritella bicolor beschriebene Pflanze hat im unteren Blütenstand meist ein etwas helleres Rot als im oberen Teil. Und Nigritella bicolor hat einen etwas längeren Sporn als Nigritella rubra.

„Mit seinem auffallenden Blütenstand, in dem sich über einem hell leuchtenden Strahlenkranz die rosaroten Blütenreihen mit den sich dunkelrot abhebenden Tragblattspitzen entfalten, ist die neue Art zweifellos unser prächtigstes, attraktivstes Kohlröschen“, schreibt Foelsche. Nach seinen Untersuchungen zeigen die meisten Fotos, die Nigritella rubra zeigen sollen, tatsächlich Nigritella bicolor, die ein weit größeres Verbreitungsgebiet hat. Foelsche macht darauf aufmerksam, dass die Zweifarbigkeit mehr oder weniger deutlich ausgeprägt sein kann. Nicht möglich ist es, Nigritella bicolor zu verwechseln mit Farbvarietäten von Nigritella rhellicani, die schon an der offenen Blütenlippe zu erkennen ist:

Nigritella rhellicani

Sag mir, wo die Blumen sind…


Vor einem Jahr haben auf einer Wiese im Rheingau, westlich von Wiesbaden, schätzungsweise 800 Anacamptis morio geblüht, darunter fünf mit weißen Blüten. Dieses Jahr blühen nur etwa zehn Pflanzen, ein Rückgang um 99 Prozent. Und es gibt keine einzige Anacamptis morio f. albifora mehr auf der Wiese. Nach einer kleinen Wanderung in den angrenzenden Wäldern traf ich einen Jäger, der mit der Säge entwurzelte Bäume wegräumte. Er meinte, dass wahrscheinlich Wildschweine dafür verantwortlich sind, dass die Orchideen in diesem Ausmaß dezimiert wurden. Der lange Winter hat wohl seinen Teil dazu beigetragen, dass die Wildschweine auf die Suche nach Orchideenwurzeln gegangen sind. Auf der angrenzenden Wiese habe ich etwa 20 Orchis mascula gefunden, gerade in der beginnenden Blüte.

Ophrys bertolonii „albiflora“

Ophrys bertlonii f. albiflora
Mit seinen leuchtend rosa bis violetten Farben in den Blütenblättern sowie einer dunkelbraunen Lippe gehört Ophrys bertolonii zu den besonders intensiv gefärbten Ophrys-Arten. Pavel Heger hat an der Südspitze der kroatischen Halbinsel Istrien eine besondere Farbvarietät von Ophrys bertolonii entdeckt – die aufgrund der verbliebenen Chlorophyll-Pigmente eine insgesamt grüne Erscheinungsform hat. Zwei Merkmale erlauben es, diese Pflanze als eine „Albiflora“-Form anzusprechen: 1) Die typische Markierung in der unteren Hälfte der Lippe ist völlig weiß. 2) Die Härchen an den Rändern der Lippe sind ebenfalls auffallend weiß.

Diese seltene Pflanze zeigt, dass „Albiflora“-Formen von Ophrys-Arten dazu neigen, Chlorophyll in der Blüte zu erhalten – im Unterschied zu weiß blühenden Formen von Orchis- oder Anacamptis-Arten. Und es gibt bestimmte Bereiche der Blüte, die das Chlorophyll nicht behalten, wie es bei der Lippenmarkierung von Ophrys bertolonii der Fall ist. Vielleicht neigen diese Pflanzen zur Ausprägung einer „weißen“ Form, um eine bestimmte biologische „albiflora“-Funktion zu erreichen – aber die Chlorophyll-Leistung der Blüte ist ebenfalls von Bedeutung und wird daher erhalten. Vielen Dank an Pavel für diesen Beitrag für albiflora.eu!

Seltene Albiflora-Form von Orchis spitzelii

Im OrchideenJournal 3/2009, berichten Josefa und Richard Thoma, wie sie erstmals zwei weiß blühende Pflanzen von Orchis spitzelii gefunden haben – in einer Region, die sie seit 20 Jahren regelmäßig aufsuchen. Dieser Standort in den Alpen bei Salzburg ist der einzige Ort in Österreich mit einem Vorkommen von Orchis spitzelii.

Im Juni 2009 zählten die beiden dort 17 Pflanzen, als Josefa überraschend zwei weiß blühende Orchis spitzelii fand. „Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen“, beschrieb Richard Thoma seine Gefühle, als seine Frau rief: „Zwei Weiße!“ Der Autor bezeichnete die seltene Farbvarietät als „Orchis spitzelii f. albovirida“ – mit Blick auf das grüne Perigon mit dem Pigment Chlorophyll.

„Warum ausgerechnet heuer?“, fragt Thoma und freut sich schon auf das nächste Jahr, wenn sie nachschauen wollen, ob die weiß blühenden Pflanzen wieder da sind.

Vielleicht handelt es sich mehr als um eine „Laune der Natur“, wie Thoma annimmt. Vertiefte Forschung ist nötig, um zu erkennen, ob es vielleicht eine bestimmte Funktion gibt, die erklären könnte, warum bestimmte Orchideenarten Albiflora-Formen entwickeln. Zunächst gebührt hier besonderer Dank an Richard Thoma für seinen Foto-Beitrag der weiß blühenden Orchis spitzelii für albiflora.eu.

nicht nur Orchideen…

… entwickeln weiße Blüten in Abweichung von der Standardblütenfarbe ihrer Art. Dieser Deutsche Enzian (Gentiana germanica), gefunden auf der Seiser Alm in den Dolomiten, ist ein Beispiel dafür.
Gentiana germanica f. albiflora
Die Pflanze recht hat Blüten ohne Pigmente (Anthocyanine). Sie kann als „Gentiana germanica albiflora“ betrachtet werden, wie es Ferdinand Schur in seinen „Beiträgen zur Flora von Wien“ (Österreichische Botanische Zeitschrift vol. 11/1860) getan hat. Der korrekte Name  wäre Gentiana germanica f. albiflora.

Ein anderes Beispiel, das ich in diesem Jahr im Schweizer Kanton Aargau gesehen habe, ist Ajuga reptans f. albiflora (Kriechender Günsel, Weiße Form) – diese Pflanze hat offenbar eine gewisse Bedeutung in der Gartenkultur erlangt.

Ajuga reptans f. albiflora

Aber weder die Enziangewächse (Gentianaceae) noch die Lippenblütler (Labiatae) können als Familie gelten, bei der es eine gewisse Neigung gibt, weiße Blüten zu entwickeln – wie es bei den Orchideen der Fall ist. Eine andere Familie mit einer Albiflora-Disposition könnten die Kakteen sein. Hierzu hat Gerd Weiß eine hübsche Web-Galerie erstellt, die mehr als 50 Arten präsentiert.

Orchideen der Rhön

Neu erschienen ist ein prachtvolles Schaufenster der Orchideen in der Rhön. Der Autor und Fotograf Marco Klüber präsentiert in seinem Buch eine Zusammenfassung seiner langjährigen Forschungen in dieser Mittelgebirgsregion. Er erklärt, wie geologische und geografische Bedingungen unterschiedliche Lebensräume wie verschiedene Arten von Wäldern, Magerwiesen und Feuchtgebiete geformt haben.

Es gibt 48 verschiedene Orchideenarten in dieser Region – oder zumindest wurden sie dort einmal nachgewiesen. Fünf Arten sind heute in der Rhön nicht mehr zu finden. Ihre Präsentation ist zugleich Mahnmal wie Aufforderung, alles zu tun, um diese kostbaren Pflanzen zu erhalten. Und Klübers Buch ist ein wichtiger Beitrag für diese Bemühungen. Nur öffentliches Bewusstsein bietet die Basis für die notwendigen politischen Entscheidungen zum Schutz dieser Gebiete.

Nach der Vorstellung der Region führt das Buch in die Familie der Orchideen ein und stellt ihre biologischen Besonderheiten vor. Den Hauptteil bilden detaillierte Artenporträts mit eindrucksvollen Fotos. Der Autor stellt auch mehrere Albiflora-Varietäten vor, etwa Dactylorhiza fuchsii, Orchis purpurea oder Cephalanthera rubra. Auch für diese Website hat Marco Klüber wichtige Beitrage beigesteuert. Gegen Ende des Buchs finden sich sechs interessante Vorschläge für Orchideen-Touren in der Rhön. (Marco Klüber: Orchideen in der Rhön. Künzell-Dietershausen, edition alpha 2009. 256 Seiten. 23,90 Euro)

Orchideen der Rhoen

Farbwechsel bei diploiden Dactylorhiza-Arten häufiger

In einem E-Mail-Wechsel zu seinem Artikel im Journal Europäischer Orchideen (JEO) hat mir der Orchideen-Experte Richard Bateman von Kew Gardens geschrieben, dass Albiflora-Pflanzen „bei diploiden Dactylorhiza-Arten weit häufiger auftreten als bei tetraploiden Arten“. Eine mögliche Ursache könnte die „Pufferung von Mutationen durch den Besitz von vier vergleichbaren Genen im tetraploiden Chromosomensatz“ sein. Diploide Arten (mit 40 Chromosomen) sind Dactylorhiza fuchsii, D. incarnata und D. sambucina. Tetraploide Arten (mit 80 Chromosomen) sind D. majalis, D. praetermissa, D. maculata, D. elata, D. sphagnicola und D. traunsteineri.

Bei Dactylorhiza fuchsii werden Pflanzen mit weißen Blüten relativ häufig beobachtet, und in Irland gibt es zudem die faszinierende D. fuchsii ssp. okellyi, die ebenfalls diploid ist. D. incarnata und D. sambucina sind für ihren Farb-Dimorphismus bekannt: Rot und gelb bei D. sambucina, violett und gelbweiß bei D. incarnata und seiner var. ochroleuca. In einem kürzlich veröffentlichten Artikel der Annals of Botany (2009) stellen Mikael Hedrén und Sofie Nordstroem die Ergebnisse ihrer Forschungen über Farb-Dimorphismus bei D. incarnata vor. Sie beobachteten, dass es „kein eindeutiges Muster einer Standort-Differenzierung unter den Farbvarietäten gibt“. Bei D. incarnata var. ochroleuca „wird der Mangel an Anthocyaninen wahrscheinlich von einer speziellen rezessiven Allele in homozygoter Form verursacht“ – der diploide Chromosomensatz hat dann also in beiden Paaren das Allel, welches für das Fehlen der violetten Farbe in den Blüten verantwortlich ist.

Neben der genetischen Fragen beeinflusst die Farbe auch die Funktionalität der Orchideenblüten für die Befruchtung. Bateman schrieb mir, dass „in zumindest einigen Fällen der plötzliche Verlust von Anthocyaninen (oder einfach die drastische Reduzierung der Anthocyanin-Produktion) die Präferenzen von befruchtenden Insekten beeinflussen muss und zur Herausbildung neuer Abstammungslinien führt“. Ein mögliches Beispiel für einen solchen evolutionären Prozess könnte Gymnadenia frivaldii sein, die eng mit Gymnadenia conopsea verwandt ist.

Aber generell ist die Frage nach einer bestimmten Funktionalität des Farbwechsels noch ohne Antwort. Im Anschluss an seine Erwähung weißer Blüten im oben genannten JEO-Artikel schrieb mir Bateman, es wäre „korrekter, den Begriff ‚Parallelismus‘ als den der ‚Konvergenz‘ zu verwenden, da in den meisten Fällen niemand eine Änderung der Funktion oder des ‚Verhaltens‘ bei den abweichenden weißen Blüten nachgewiesen hat“. Er wies ferner hin auf „die Wahrscheinlichkeit, dass viele Mutationen und Epimutationen weiße Blüten erzeugen“. Bateman erkannte an, dass es da noch viele offene Fragen gebe und warf auch die Frage auf, „ob Weiß überhaupt eine Farbe ist“. Dabei führte er „die sehr einfachen Verschiebungen zwischen ‚weißen‘ und ‚grünen‘ Blüten bei Platanthera“ an.

Weiße Blüten als Ergebnis von konvergenter Evolution

Model of phylogeny and classifying existing plants, by Robert Bateman
Model of phylogeny and classifying existing plants, by Robert Bateman

In einem Beitrag über das taxonomische Durcheinander bei den Orchideen in Europa betont Richard Bateman, wie wichtig es ist, statt individualistischer Schlüsse eindeutige Kriterien für die Klassifizierung zu entwickeln. Der Artikel „Über die entscheidende Bedeutung einer Maximierung von Befunden und Minimierung autoritärer Spekulation zur abstammungsgeschichtlichen Klassifizierung der europäischen Orchideen“ (In: Journal Europäischer Orchideen, Vol. 41/2, Juli 2009) erklärt, wie aus der Phylogenese (Evolution) von Arten eine monophyletische Klassifizierung abgeleitet werden kann (also eine Klassifizierung mit einer Gruppe von Organismen, die ein Kladogramm mit einem gemeinsamen Vorfahren bilden und alle Abkömmlinge dieses Vorfahren umfassen).

Bateman erkennt ausdrücklich den Wert morphologischer Merkmale an, betont aber, dass molekularbiologische Daten die wichtigste Grundlage für eine wissenschaftliche Taxonomie bilden sollten. Er kritisiert, dass andere Klassifizierungen oft nur „das Ergebnis persönlicher Meinung“ sind und sagt: „Die Daten des 21. Jahrhunderts werden eingeschränkt, indem man freiwillig einen Ansatz der biologischen Klassifizierung beibehält, der aus dem 18. Jahrhundert stammt.“ Mit Blick auf taxonomische Debatten über die Gattungen Dactylorhiza/Coeloglossum, Neottia/Listera oder Gymnadenia/Nigritella klagt er: „Die Autoren entscheiden aus der Vielzahl von bereits verfügbaren Klassifikationen , welche Namen sie akzeptieren und welche sie ablehnen – so als ob sie Produkte aus den Regalen eines Supermarkts auswählen.“

Beim Eintreten für klare Regeln auf der Grundlage von Erkenntnissen molekularbiologischer Forschung erwähnt Bateman auch „die Entstehung von weiß blühenden Individuen bei vielen Orchideenlinien“ als ein Ergebnis von konvergenter Evolution – dieser Begriff beschreibt im Allgemeinen die Entwicklung ähnlicher Merkmale bei Arten, die genetisch nicht miteinander verwandt sind, oft angestoßen durch eine Anpassung an Umweltbedingungen oder eine bestimmte funktionale Entwicklung. Aber gibt es wirklich eine solche Anpassung, wenn Orchideen weiße Blüten entwickeln, „was durch die Unterdrückung eines beliebigen Abschnitts im biosynthetischen Pfad für die Erzeugung von Anthocyanin-Pigmenten erreicht wird“? Und was wäre das Ziel einer solchen Anpassung?

Ausstellung in Frankfurt zeigt die Farben der Natur

„Nahezu unendlich ist die Palette der Farben in Pflanzen“, erklärt die Botanikerin Hilke Steinecke vom Palmengarten in Frankfurt. Dort wird diese Palette in einer Ausstellung entfaltet, die noch bis 1. November zu sehen ist. Dabei werden auch die Rolle der Pigmente in den Blütenfarben und das Farbensehen von bestäubenden Insekten erklärt.

In einer interessanten Demonstration wird die Säureempfindlichkeit von Anthocyaninen vorgeführt. Die violette Blüte einer Prachtwinde (Ipomoea) wird mit einem Tropfen Essig bedeckt – daraufhin ändert sich die Farbe in Rosa. „Im sauren Milieu sind viele Anthocyanine rosarot, im alkalischen blau gefärbt“, heißt es dazu im Katalog. Dies könnte auch die Farbvarianten von Nigritella nigra ssp. rhellicani in den Dolomiten erklären – diese treten gehäuft in einer Region mit tendenziell saurem Boden auf.