Farbenspiele bei Nigritella rhellicani

Nigritella rhellicani
Im Juli bedecken die dunkelroten Köpfchen von Nigritella rhellicani (syn: Nigritella nigra ssp. rhellicani) viele Alpenwiesen. An einigen wenigen Orten zeigen die Blüten bemerkenswerte Farbvariationen. Nach dem Studium der Nigritella-Farben der Dolomiten, besuchte ich in diesem Jahr den Schweizer Kanton Wallis: In der Nähe von Chandolin gibt es in einer Höhe von etwa 2400 Metern ein Gebiet mit rosa und gelb blühenden Nigritella rhellicani. Das Tableau oben zeigt die Farbvarietäten sowohl in den Dolomiten als auch in der Schweiz. Die gelb blühenden Formen wachsen bei Chandolin – ihnen fehlen offensichtlich die Anthocyanine, aber sie haben andere Pigments wie wahrscheinlich Carotenoide. Die Gründe für diese Besonderheiten sind bislang nicht bekannt.
Nigritella rhellicani

Albiflora-Studien auf der Krim

Orchis simia
In der Orchideen-Flora der Krim fallen besonders Arten wie Comperia comperiana, Steveniella satyrioides oder Orchis punctulata auf. Albiflora-Formen sind in dieser Region der Ukraine eher selten. Vladimir Isikov vom Botanischen Garten Nikita sagte mir, dass er nur drei Arten mit weiß blühenden Formen gesehen habe: Orchis simia, Neotinea tridentata und Anacamptis morio ssp. caucasica (die er als Orchis picta bezeichnet). Offenkundig gibt es auf der Krim keine Orchideenarten, die sich in eine Richtung entwickeln, welche die Herausbildung von weiß blühenden Formen begünstigt.

Aber in der Nähe von тылобое (Tylovoye) fanden wir an einem Waldrand eine Gruppe von 26 Orchis simia unter einer Pinie, unter ihnen auch 5 Albiflora-Pflanzen. In diesem kleinen Bestand gab es offenbar eine Vermehrung der weiß blühenden Pflanzen.

Neotinea tridentata hat eine relativ hohe Variabilität, wie es auch von H. Kretzschmar, W. Eccarius und H. Dietrich in ihrem Buch „Die Orchideengattungen Anacamptis, Orchis, Neotinea“ (Bürgel 2007, S. 206/207) erwähnt wird. Auf der Krim ist die vorherrschende Blütenfarbe ein helles Violett. Ich habe drei Pflanzen mit weißen Blüten gesehen. Der Anteil von Albiflora-Pflanzen lässt sich damit grob auf 2 pro 1000 Neotinea tridentata schätzen.
Neotinea tridentata

Unter den Anacamptis morio, Orchis mascula, Orchis purpurea oder Anacamptis pyramidalis, die wir auf unserer zehntägigen Reise gesehen haben, waren keine weiß blühenden Pflanzen. Aber in einem Wald bei гончарное (Goncharnoye) gab es eine Albino-Form von Epipactis helleborine.
Epipactis helleborine

Jenseits der Orchideen-Flora fielen mir weiß blühende Pflanzen bei Polygala major, der endemischen Onosma taurica und bei Papaver spec. auf. Interessant war auch ein Polygonatum odoratum mit halbweißen Blättern.
Polygonatum odoratum

Farbe beeinflusst Verhalten von Bestäubern

The Flower of the European Orchid

Form und Funktion der Blütenorgane stehen im Mittelpunkt des soeben erschienenen, faszinierenden Buchs The Flower of the European Orchid von Jean Claessens and Jacques Kleynen. Illustriert mit großartigen Makroaufnahmen und mikroskopischen Aufnahmen bietet dieses bedeutende Werk eine umfassende Darstellung zur Struktur von Orchideenblüten bei den verschiedenen Gattungen in Europa. In einem Vorwort schreibt Richard Bateman: „In Hinsicht auf ihr einzigartiges Charisma reicht keine andere Pflanzenfamilie an die Orchideen heran“. Aber die Begeisterung geht einher mit einer gewissen wissenschaftlichen Pein: Bateman betont, dass es immer noch größere wissenschaftliche Unsicherheiten gibt, die „uns weiter quälen“ – darunter auch Fragen der evolutionären Anpassung.

Die Befruchtungsstrategien der Orchideen sind sehr vielfältig, und das Buch erklärt, wie die jeweils spezifischen Konstruktion der Säule (Gynostemium) die Allogamie mit Hilfe von Bestäubern oder die Autogamie (Selbstbefruchtung) unterstützt. Besonders spannend sind hier die Strategien von Dactylorhiza, Orchis und anderen Gattungen ohne Nektar im Sporn der Orchideenblüte. Claessens und Kleynen erklären, bei den Bestäubern etwa von Orchis mascula handle es sich um „kürzlich entwickelte, naive Bienen oder erkundende Insekten, die noch nicht nicht gelernt haben, dass die Blüten keine Belohnung bieten“ (p. 220). Die Autoren zitieren auch die Studie von L. Dormont, R. Delle-Vedove, J.-M. Bessière, M. Hossaert-Mc Key und B. Schatz zur Präsenz von weiß blühenden Orchis mascula, welche „die Bedeutung von visuellen Signalen bei der Anziehungskraft auf Bestäuber“ (p. 220) unterstreicht.

Im Dactylorhiza-Kapitel schreiben die Autoren: „Farbe kann ebenfalls das Verhalten von Bestäubern beeinflussen“ (p. 240). Hinsichtlich der roten und gelben Formen von Dactylorhiza sambucina verweisen sie auf Experimente, die nachwiesen, dass erfahrene Hummeln „bei weitem diejenige Form bevorzugen, die am ehesten der belohnenden Pflanze ähnelt, welche ihnen zuletzt Nahrung bot“. Umgekehrt könnte vermutet werden, dass es eine Form von evolutionärer Anpassung gibt, die darauf abzielt, visuelle Signale zu entwickeln, die sich von nicht belohnenden und in einem bestimmten Gebiet massenhaft vorkommenden Pflanzen abheben – wie es in Westirland der Fall sein könnte mit den vielen weiß blühenden Dactylorhiza fuchsii auf Wiesen mit früher blühender Orchis mascula.

Ophrys speculum f. flavescens

In der jüngsten Ausgabe der „Berichte aus den Arbeitskreisen Heimische Orchideen“ (27/2, 2010) stellt Klaus Boie in seinem Beitrag über „Kostbarkeiten in Andalusiens Bergen“ (S. 117-122) eine seltene hypochrome Form von Ophrys speculum vor. Er fand diese forma flavescens in der spanischen Region Andalusien, in einer großen Gruppe von Ophrys speculum, wie er schreibt.

Das Mal auf der Blütenlippe ist ganz weiß, die übrigen Teile der Blüte sind gelblich-grün. Dies zeigt wie bei anderen hypochromen Ophrys-Formen, dass hier zwar die Anthocyanine völlig fehlen, dass aber immer noch Chlorophyll in der Blüte eingelagert ist – im Unterschied zu Albiflora-Formen aus anderen Orchideengattungen mit ihren reinweißen Blüten. Vermutlich sind die Ophrys-Arten auf den Photosynthese-Beitrag der Blüte angewiesen, weil die Blätter der Bodenrosette schon frühzeitig welken.

Albiflora-Pflanzen beeinflussen naive Bestäuber

Weiß blühende Orchideen-Varietäten sind nicht einfach nur „eine Laune der Natur“ – sie haben ganz offensichtlich eine biologische Funktion. Eine Gruppe von Wissenschaftlern in Montpellier hat herausgefunden, dass die Existenz von Albiflora-Pflanzen in einem Bestand von Orchis mascula mit einem weit höheren Fruchtansatz der purpurn blühenden Pflanzen verbunden ist als bei Beständen ohne weiß blühende Orchis mascula:

„Unsere Studie hat überraschenderweise gezeigt, dass die gleichzeitige Anwesenheit von weiß blühenden Pflanzen zu einem signifikant höheren Reproduktionserfolg von purpurn blühenden Pflanzen in der Nachbarschaft führte (mittlerer Fruchtansatz von 27%), während die weiß blühenden Pflanzen selbst den gleichen niedrigen Fruchtansatz (6%) hatten“, schrieben die Autoren der Studie – L. Dormont, R. Delle-Vedove, J.-M. Bessière, M. Hossaert-Mc Key und B. Schatz – in ihrem Artikel in New Phytologist (2010) 185: 300–310. Die untersuchten Blüten – insgesamt 11 709 bei 805 Pflanzen – zeigten fast den gleichen erhöhten Fruchtansatz, als die Forscher einige Tischtennisbälle auf die Wiese einsetzten, die die weßen Blütenstände von Orchis mascula imitieren: „Der Effekt war in der Größenordnung fast identisch (Fruchtansatz von 6 auf 27 Prozent erhöht), unabhängig davon, ob das weißfarbige Objekt in der Nachbarschaft nun ein Blütenstand von O. mascula oder ein Tischtennisball war.“ Je näher eine purpurn blühende Pflanze zu dem weißen Farbtupfer war, desto höher war der Fruchtansatz im Gefolge einer erfolgreichen Befruchtung.

Die Autoren erklären die überraschenden Ergebnisse mit dem Verhalten der Bestäuber nach dem Besuch bei Orchis mascula, die zu den Nektartäuschblumen gehört: „Es scheint plausibel zu sein, dass naive Bestäuber nach Besuchen bei purpurfarbenen Blüten ohne eine Belohnung wahrscheinlich die homogenen Bestände von purpurfarbenen Blüten meiden und sich dann vorzugsweise nach einer anderen Farbe oder einem Farbkontrast orientieren wie einer Mischung von weißen und purpurnen Blüten.“ Bestäuber von Orchis mascula sind Hummeln (Bombus, Psithyrus), Bienen (Eucera, Nomada, Andrena, Apis) und der Rosenkäfer Cetonia aurata.

Dabei sind die Albiflora-Varietäten in den untersuchten Beständen in Südfrankreich recht selten: Die Autoren kamen in verschiedenen Beständen auf Anteile von 0,9 bis 1,4 Prozent. Aber dies ist ein deutlich höherer Anteil als man im Fall von spontanen Mutationen der für die Blütenpigmentbildung zuständigen Gene erwarten könnte – dieser liegt im Durchschnitt bei 0,1 Prozent. Angesichts des höheren Anteils von Abiflora-Varietäten bei Orchis mascula erklären die Verfasser, dass „es unwahrscheinlich ist, dass solche hohen Häufigkeiten allein das Ergebnis wiederholter spontaner Mutationen sein können“ – und das sollte auch für andere Orchideenarten gelten, die wie Anacamptis morio oder Dactylorhiza fuchsii in Westirland einen höheren Anteil von weiß blühenden Pflanzen aufweisen.

Die weiß blühenden Orchis mascula selbst haben nur einen geringen Fruchtansatz, aber sie „helfen“ gewissermaßen den purpurn blühenden Pflanzen ihrer Art dabei, befruchtet zu werden. „Die Präsenz von weiß blühenden Varietäten kann bei O. mascula als eine Anpassung betrachtet werden, die den purpurn blühenden Verwandten der weiß blühenden Formen nützt, aber den weiß blühenden Pflanzen keinen direkten Nutzen verschafft“, schreiben die Autoren und nehmen an, dass es eine Art „Mechanismus der Verwandtschaftsselektion“ gibt, der den höheren Anteil von Albiflora-Pflanzen bewirkt.

Die Wissenschaftler in Montpellier setzen ihre Forschungsarbeiten nun auch mit anderen Arten fort. Laurent Dormont schrieb mir, dass sie auch weiß blühende Pflanzen von Calanthe sylvatica auf der Karibikinsel La Réunion studiert hätten (die Ergebnisse sollen in der Zeitschrift Plant Systematics and Evolution veröffentlicht werden. Außerdem haben sie die Duftstoffe von weiß blühenden Orchideenarten weiter erforscht.

Noch ein Besuch bei Cephalanthera rubra f. albiflora

Cephalanthera rubraIn diesem Jahr konnte ich schon ein paar Tage früher die weiß blühende Cephalanthera rubra im hessischen Teil der Rhön besuchen als im vergangenen Jahr. Zunächst folgte ich aber einem Hinweis auf einen Standort weiter südlich, in der Nähe von Ahlersbach. Direkt am Waldweg stieß ich auf eine weiße Cephalanthera rubra mit einem leichten Hauch von Rosa! In den Knospen ist die Farbe deutlich sichtbar, die erhaltenen Restpigmente sind dort offenbar stärker konzentriert als in der geöffneten Blüte.

Cephalanthera rubraAn dem zweiten Standort bei Hünfeld, gut zu erkennen an der alten Buche, die Marco Klueber in seinem großartigen Buch über die „Orchideen in der Rhön“ erwähnt, standen die Albiflora-Pflanzen von Cephalanthera rubra Ende Juni in schönster Blüte. Der schwedische Botaniker L. Anders Nilsson hat (in einem 1984 erschienenen Artikel in der Zeitschrift Nature) gezeigt, dass Cephalanthera rubra die Blütenfarbe der Glockenblume (Campanula) im visuellen System der Bienen nachahmt, um so von ihnen befruchtet zu werden, besonders von den männlichen Bienen der Gattung Chelostoma. Da Cephalanthera rubra vor Campanula blüht, sind sie für die Bienen durchaus von Interesse. Es wäre interessant zu sehen, wie die Bienen auf die Albiflora-Formen von Cephalanthera rubra reagieren.

Mit Blick auf die Bestäuber von Orchideen hatte mein Besuch am 24. Juni noch einen besonderen Höhepunkt: Ich sah eine Wespe (Argogorytes mystaceus) auf einer Ophrys insectifera. Die Pseudokopulation an zwei Blüten dauerte mehr als sieben Minuten.

Noch mehr Fuchsii-Vielfalt

Dactylorhiza fuchsiiDactylorhiza fuchsiiÄhnlich wie in der irischen Region The Burren gibt es auch auf dem Kontinent Standorte, an denen Dactylorhiza fuchsii dazu neigt, bevorzugt weiße oder zumindest helle Blüten zu entwickeln. In der belgischen Provinz Lüttich (Liège), in der Nähe von Lanaye, gibt es Dutzende von Albiflora-Pflanzen dieser Art, wie Jeroen Gerdes berichtet – er hat mir von dort das Foto links geschickt.

Heute habe ich eine Wiese bei Biebergemünd im hessischen Teil des Spessarts besucht. Auf einer Fläche von etwa 5.000 Quadratmetern zählte ich etwa 300 Dactylorhiza fuchsii mit der folgenden Verteilung von Blütenfarben (in Prozent):

Dactylorhiza fuchsii with %
dunkelvioletten Blüten 2
mittelvioletten Blüten 6
hellvioletten Blüten 45
weißen Blüten und Lippenzeichnung 44
weißen Blüten ohne Lippenzeichnung 3
total 100

Insgesamt sind 10 von etwa 300 Dactylorhiza fuchsii als Albiflora-Form einzustufen – eine derartige Häufigkeit ist deutlich höher als sonst bei dieser oder anderer Orchideenarten zu beobachten – was die Vermutung nahelegt, dass hier eine graduelle oder sprunghafte Evolution im Gange ist.

Dactylorhiza fuchsii x majalis Zur Begleitflora der Wiese gehören Dactylorhiza majalis (abgeblüht), Dactylorhiza fuchsii x majalis, Platanthera bifolia, Neottia ovata, Rhinanthus minor, Cirsium arvense, Campanula persicifolia, Picris hieracioides und Arnica montana. Dactylorhiza majalis kommt vor allem neben den feuchten Gräben auf der Wiese vor – und es gibt auch Hybriden von D. majalis und D. fuchsii – noch in voller Blüte, während D. majalis bereits verblüht ist. Die Hybriden sind besonders kräftig, einige von ihnen bis zu einer Größe von 50 cm. Sie lassen sich leicht erkennen an ihren breiten Blättern und der abgerundeten Lippe mit reduziertem Mittellappen. Auch eine Albiflora-Form von Dactylorhiza fuchsii x majalis wächst auf der Wiese (rechts).

Albiflora-Studien in Irland

Dactylorhiza fuchsii
Die Evolution bestimmter Orchideenarten ist alles andere als abgeschlossen. Der Burren, eine Region in der Grafschaft Clare an der Westküste von Irland, belegt dies mit mannigfachen Farbvarietäten von Dactylorhiza fuchsii, dem Fuchs-Knabenkraut. In einer 1988 vorgelegten Studie kamen R.M. Bateman und I. Denholm zu dem Ergebnis, dass die Bestände von Dactylorhiza fuchsii im Burren häufiger einen Mangel am Purpur-Farbpigment Anthocyanin aufweisen als Pflanzen in anderen Regionen der Britischen Inseln:

Anteil (in Prozent) von Dactylorhiza fuchsii ohne im Burren in anderen Regionen
gefleckte Blätter 43 13
Lippenzeichnung 48 15
Anthocyanin in der Lippe 48 12
Anthocyanine in der Blüte 35 8
Anthocyanine in Blüte, Stängel, Blättern oder Tragblättern 25 6

(Quelle: R.M. Bateman/I. Denholm: A reappraisal of the British and Irish dactylorchids, 3. The spotted-orchids. In: Watsonia 17 (1988), S.332)
Bei der Erkundung des faszinierenden Gebiets am Lough Gealain und am Berg Mullaghmore sind diese Ergebnisse durchaus nachvollziehbar. Auch in anderen Gebieten gibt es viele Pflanzen mit hellen oder weißen Blüten, oft nur noch mit dem Pigment für die Lippenzeichnung. Auf einer begrenzten Fläche von 40 Quadratmetern im Gebiet von Rockforest, nordöstlich von Corrofin, habe ich 50 blühende Dactylorhiza fuchsii (neben 7 mit Knospen) gezählt, die folgende Merkmale aufwiesen:

Dactylorhiza fuchsii mit
dunkelvioletten Blüten 0
mittelvioletten Blüten 11
hellvioletten Blüten 17
weißen Blüten und gestrichelter Lippenzeichnung 3
weißen Blüten und gepunkteter Lippenzeichnung 17
weißen Blüten ohne Lippenzeichnung 2
insgesamt 50

Zur Begleitflora in diesem Gebiet, mitten in einer ausgedehnten Gegend der für den Burren typischen Kalkplatten (limestone pavement), gehören Orchis mascula, Geranium sanguineum, Rosa pimpinellifolia, Calluna vulgaris, Lotus corniculatus und Pteridium aquilinum.

Das folgende Bild illustriert die breite Variabilität nicht nur bei der Blütenfarbe, sondern auch der Lippenform von Dactylorhiza fuchsii im Burren (einige der Beispiele offenbar mit einem gewissen Einfluss von Dactylorhiza maculata). Es ist deutlich zu sehen, dass die meisten Pflanzen weniger Anthocyanin in den Blüten haben als die kontinentalen Bestände der Art – zum Beispiel die großen Bestände in den Wäldern der südfranzösischen Region Causses mit ihren dunkelvioletten Blüten. Die Pigmente werden zuerst in den Sepalen reduziert, gefolgt von der Grundfarbe der Lippe. Dann wird die Lippenzeichnung reduziert, oft bleibt nur ein kleiner Rest am Eingang der Narbenhöhle erhalten. Aber selbst die sehr weißen Blüten haben noch farbige Pollinien, allerdings ist deren Farbe dann weniger intensiv. Schließlich gibt es auch eine breite Vielfalt von Blütenformen. Vor allem bei dem Mittellappen der Lippe gibt es erhebliche Unterschiede. In einem Extremfall einer weiß blühenden Pflanze waren die Seitenlappen weitgehend zurückgebildet.
Farbvarietäten von Dactylorhiza fuchsii
Die meisten irischen und britischen Botaniker betonen, dass Dactylorhiza fuchsii var. okellyi (einige betrachten diese als Subspezies oder gar als Spezies) nicht mit den Albiflora-Formen der Art verwechselt werden darf. Anne und Simon Harrap (Orchids of Britain and Ireland, Dactylorhiza fuchsii var. okellyi 2005) schreiben: „Zu okellyi gibt es viele Diskussionen.“ Sie erklären: „Im Burren und andernorts sind diese klassischen, weiß blühenden okellyi nur Teil einer Population von Pflanzen mit variabler Blütenfarbe.“ Brendan Sayers und Susan Sex (Ireland’s Wild Orchids, 2008) betonen, dass Dactylorhiza fuchsii var. okellyi spät zu blühen beginnt, erst im Juli. Das Foto in ihrem Feldführer zeigt eine Blüte mit einer tief dreiteiligen Lippe. Charles Nelson (Wild Plants of The Burren and the Aran Islands, 2008) gibt an, dass okellyi von Juni bis August blüht und rein weiße Blüten „ohne jede violette Tönung oder Zeichnung“ hat sowie „eine flache Lippe mit drei fast gleich großen, tief eingeschnitten Lappen“. Laut Pierre Delforge (Guide des orchidées d’Europe, 2005), bei dem die Blütezeit von Mai bis Juli angegeben ist, hat die Lippe eine Breite von maximal 8 mm (im Unterschied zu fuchsii mit 8-16 mm). Pat O’Reilly und Sue Parker (Wild Orchids in The Burren, 2007) haben beobachtet, dass „Gruppen von rein weißen Orchideen … eher O’Kellys Knabenkraut sind als einzelne Pflanzen, bei denen es sich einfach nur um sehr blasse Exemplare des Fuchs-Knabenkrauts handeln kann“. Bei der Erkundung der Kalkplattengebiete zwischen Poulsallagh und Rockforest trifft man auf viele weiß blühende Dactylorhiza fuchsii, eher kleinwüchsig und zu Beginn der Blüte mit einem pyramidenförmigen Blütenstand, die den violett blühenden Pflanzen der Art sehr ähnlich sind – sie sollten daher wohl als Albiflora-Formen betrachtet werden. An zwei Orten fand ich jeweils ein Paar von höherwüchsigen Pflanzen, sehr schlank und mit einer eigenständigen Erscheinungsform von Blütenstand wie Blüten, die sich offenbar als Dactylorhiza fuchsii var. okellyii ansprechen lassen.

Auch Dactylorhiza maculata, das Gefleckte Knabenkraut, tendiert im Burren zu sehr blassen Blüten. Doch die meisten Pflanzen behalten zumindest eine schwache Lippenzeichnung. Offenbar ist die Variabilität von Dactylorhiza maculata (die Pflanzen in Irland werden im Allgemeinen als Dactylorhiza maculata ssp. ericetorum betrachtet) nicht so groß wie die von Dactylorhiza fuchsii. Die relative Häufigkeit von Orchis mascula f. albiflora bewegt sich im gleichen Rahmen wie in Kontinentaleuropa. Unter tausenden von Pflanzen – Orchis mascula ist die häufigste Orchidee der Region – habe ich nur zwei weiß blühende gesehen. Keine einzige Albiflora-Form gab es bei Dactylorhiza incarnata oder Dactylorhiza majalis ssp. occidentalis (auf der Aran-Insel Inisheer).

Verglichen mit der relativen Stabilität der anderen Arten zeigt die breite Variabilität von Dactylorhiza fuchsii im Burren, dass sich diese Art im Zustand eines andauernden Evolutionsprozesses befindet. Es kann nur spekuliert werden, warum Dactylorhiza fuchsii hellere oder gar weiße Blüten bevorzugt – inmitten eines Überflusses von violetten Blütenfarben auf den Wiesen der Region.

Partielle Albiflora-Form bei Dactylorhiza majalis

Dactylorhiza majalis
In einem Bachgrunds mit etwa 2,000 Breitblättrigen Knabenkräutern (Dactylorhiza majalis) am Südrand der Rhön steht auch eine Gruppe von drei Albiflora-Pflanzen, zusammen mit Menyanthes trifoliata, Caltha palustris und anderen Feuchtbiotop-Pflanzen. Noch interessanter war aber eine weitere Albiflora-Pflanze in einer Entfernung von etwa 40 Metern. Direkt daneben wächst eine Orchidee mit einer partiellen Albiflora-Form: Die meisten Blüten haben die purpurne Standardfarbe, aber einige Blüten sind teils purpurn, teils weiß – entweder in der Lippe oder in den Petalen.
Dactylorhiza majalisHier spielte die genetische Allele mit der Information für die Albiflora-Form offenbar eine gewisse Rolle – wird aber dominiert von der DNA mit der Information für die Standard-Farbe. Diese Beobachtung wie eine ähnliche in Südfrankreich bei Anacamptis morio wirft Fragen zum rezessiven Charakter der Albiflora-Allele auf. Es könnte manche Fälle geben, bei denen die Albiflora-Allele der einen Eltern-Pflanze von der dominanten Allele der anderen nicht völlig unterdrückt wird. Das Ergebnis wären dann solche purpur-weiß gefleckten Blüten. Bevor ich den Ausflug in die Südliche Rhön mit dem Besuch einer wunderschönen Wiese mit hunderten von Anacamptis morio (darunter zwei Albiflora-Formen) und Orchis mascula fortsetzte, nutzte ich noch die Morgensonne, um einige weitere Fotos des Albiflora-Trios von Dactylorhiza majalis aufzunehmen: Dactylorhiza majalis

Albiflora-Orchideen in Nepal

Satyrium nepalensis
Diese Fotos von Satyrium nepalensis hat mir der Botaniker Bhakta Bahadur Raskoti aus Kathmandu geschickt, der gerade ein neues Buch mit dem Titel „The Orchids of Nepal“ veröffentlicht hat. Er schrieb mir, dass es in Nepal einige Orchideenarten gibt, die rosarot blühen und selten auch mit weißen Blüten zu finden sind. Neben Satyrium nepalensis sind das Spiranthes sinensis, Rhynchostylis retusa oder Anthogoneum gracile. Spiranthes sinensis erinnert an Spiranthes spiralis in Europa, die reguläre Form, wie sie im Buch von Bhakta Bahadur Raskoti gezeigt wird, hat intensiv rosafarbene Sepalen und Petalen sowie eine weiße Lippe. „Orchids of Nepal“ presentiert 302 Arten mit mehr als 900 Fotos. Unter ihnen sind 14 Arten, die neu für die Orchideenflora in Nepal nachgewiesen werden.
Orchids of Nepal